hommage an eine lebende (?) legende

Manche sterben jung und sind berühmt, obwohl sie jung gestorben sind. Oder weil. Oder beides? Auf Marilyn Monroe, die gerade mal 36 Jahre alt geworden ist, trifft gewiss Letzteres zu. Immerhin: 30 Filme hat sie von 1947 bis zu ihrem Tod 1962 gedreht, durchschnittlich zwei Filme pro Jahr, und auch wenn nicht alle davon so bekannt und bedeutend wie manche mögen’s heiß oder misfits – nicht gesellschaftsfähig sein mögen (und auch ihre Rollen darin nicht alle groß), reicht ihr Schauspielvermächtnis doch aus, sie zur Legende zu machen.

Nun haben Legenden es so an sich, dass sie Varianten bilden – jede_r erzählt sie auf eigene Weise, bringt bewusst oder unabsichtlich andere Details und Sichtweisen ein. Besonders Marilyn Monroes Tod aufgrund einer überdosierten fatalen Kombination aus Barbituraten und anderen Medikamenten hat von Anfang an zu unterschiedlichsten Theorien Anlass gegeben: ärztliche Fehldosierung, Selbstmord, Unfall, Mord ... Als Mörder wurden unter anderem die CIA, die Mafia, die Kennedys oder Monroes Psychotherapeut beschuldigt.

Eine andere Variante, die nicht selten bei rätselhaften frühen Todesfällen auftaucht, legen Allard Blom und Sam Verhoeven ihrem 2017 in Antwerpen uraufgeführten Musical goodbye, norma jeane zu Grunde – einen vorgetäuschten Tod und eine incognito weiterlebende Monroe. Henri Mortenson, ein junger Reporter, klopft eines Tages in einem kleinen englischen Ort an die Tür von Jane Edwards und sagt ihr auf den Kopf zu, dass sie Marilyn Monroe sei. Nachdem es ihr nicht gelingt, ihn abzuwimmeln, steuert ihr Gespräch in Rückblenden durch Monroes Leben auf die ominöse letzte Nacht zu, in der sie offiziell gestorben ist.

In gewissem Sinne ist sie das auch in goodbye, norma jeane. Denn die 1926 als Norma Jeane Baker geborene Ikone hat mit zwanzig Jahren nicht nur einen Künstlerinnennamen angenommen – auch ihr Äußeres hat sie als Model und beginnende Schauspielerin dem herrschenden Schönheitsideal angepasst, sich ihr Markenzeichen, die sanft gewellten blonden Haare, färben lassen. Sie wurde zu Marilyn Monroe. Jane Edwards sagt Jahrzehnte später zu ihrem jungen »Bewunderer«: »Nie mehr Marilyn Monroe.« Keine Filme, keine öffentliche Aufmerksamkeit, keine sie auf Schritt und Tritt verfolgenden Reporter mehr – und das ist gut so (nicht zu vergessen: »Goodbye, Norma Jeane« ist der ursprüngliche Titel von Elton Johns berühmtem Lied »Candle in the Wind«, das auch von der Monroe handelt und erst später auch auf eine andere von der Presse Verfolgte bezogen wurde). Keine prominenten Geliebten, kein Kampf gegen das Klischee von der dummen Blondine und gegen die hohen künstlerischen Ansprüche an sich selbst mehr.

Zwischen dem ehemaligen Star und dem Journalisten entspinnt sich ein Duell, in welchem fürs Publikum wie nebenbei die Lebensgeschichte der Monroe aufgefächert wird. Sie versucht so viel wie möglich für sich zu behalten, er bringt sie durch sein Wissen (und durch persönliche Bekenntnisse) immer wieder dazu, Dinge richtig- zustellen oder widerstrebend zu erzählen – bis hin zum Geheimnis um ihren Tod. Die emotionale Achterbahnfahrt wird durch die Songs von Verhoeven vertieft, und neben den Ohrwürmern und der kriminalistischen Handlung bietet dieses ungewöhnliche Musical auch mit leichter Hand Denkanstöße: Kann man vollständig jemand anders werden, sei es in kurzer Zeit durch eine bewusste Entscheidung oder über eine langjährige, »ganz normale« Entwicklung? Wer war Marilyn? Und wer wäre sie heute?